KI soll die Stellenanzeige retten! Zeit für einen Praxistest. Ich spreche mit einem, der es ausprobiert hat: Michael Aßmann von Phoenix Contact
Michael Aßmann ist Recruiting Consultant bei Phoenix Contact.
Mit dem Projekt Effizientes Personalmarketing mit KI-optimierten Stellenanzeigen landete Phoenix Contact auf der Shortlist zur HR Innovation des Jahres bei den Trendence Awards 2024.
Stell dir vor, es ist Vakanz, und keiner geht hin. Während die deutsche Industrie ächzt und entlässt, bleibt andernorts der Bewerbereingang leer.
Und derweil das Land eine striktere Einwanderung diskutiert, dürften es in vielen Bereichen gern mehr Fachkräfte sein. Verzweiflung hier - Mangel dort, die neue Realität. Ist KI in der Stellenanzeige die Lösung?
Zugegeben, das klingt ein wenig wie der Einstieg zu einem WiSo-Beitrag im Vorabend-Programm. Aber das ist ja hier schließlich auch ein Praxistest!
Und immerhin lastet auf einer Stellenanzeige eine Last, die ein Recruiter allein nur noch schwer meistern kann: Titel, die man versteht, treffsichere Beschreibung, Pull- statt Pushwörter, sprich: anregende statt abstoßende Formulierungen, gendergerechte Sprache, und lange Diskussionen mit dem Hiring Manager - Bauchgefühl allein tut's nicht mehr.
Was Kandidaten wirklich motiviert, "Jetzt Bewerben" zu klicken, soll KI-Software mittlerweile besser wissen.
Gleichzeitig muss gespart werden, Datenschutz und Compliance erlauben keine waghalsigen Experimente. Neue Lösungen wollen sauber und sorgfältig eingeführt sein.
Schauen wir uns heute also mal ein Tool an, mit dem Phoenix Contact auf der Shortlist des Trendence Innovation Awards gelandet ist, nämlich betterads․ai von milch & zucker.
Julian: Michael, stell dich doch noch mal kurz vor.
Michael: Gerne. Mein Name ist Michael Aßmann. Ich bin Recruiting Consultant bei der Phoenix Contact Gruppe in Blomberg, dem „Silicon Valley Ostwestfalens“, in der Nähe von Paderborn.
Seit anderthalb Jahren arbeite ich im zentralen Recruiting-Service-Team, primär im operativen Recruiting für die Corporate Functions. Parallel bin ich in Innovationsprojekten aktiv, die sich mit der Candidate Journey und Recruiting-Technologien, insbesondere KI, beschäftigen.
Julian: Was für Kandidaten sind für Phoenix Contact am schwersten zu rekrutieren?
Michael: Aktuell alle, die tiefe Berührungspunkte mit SAP S/4HANA haben. Auch uns betrifft der Umzug von R/3 in die Cloud-Welt. Gerade Projektleiter-Positionen in Blomberg – in „The Middle of Nowhere“ – bereiten uns Kopfzerbrechen.
Julian: Wahrscheinlich auch Elektrotechniker, oder?
Michael: Natürlich suchen wir als Unternehmen, das in der Branche rund um Strom tätig ist, auch Elektrotechniker. Da genießen wir hier in Ostwestfalen-Lippe als Phoenix Contact jedoch einen guten Ruf. Durch Kooperationen mit Universitäten vor Ort und unsere Bekanntheit in der Branche haben wir trotz des Arbeitnehmermarkts derzeit noch gute Rückläufe und Besetzungszeiten.
Julian: Ihr seid mit KI-optimierten Stellenanzeigen auf der Shortlist der Trendence Awards gelandet. Glückwunsch! Was war das „Problem“ mit euren alten Stellenanzeigen?
Michael: Danke! Es fing eigentlich gar nicht mit einem Problem an, sondern mit unserer langjährigen Partnerschaft mit milch & zucker. Phoenix Contact gehört schon seit vielen Jahren zu deren Netzwerk, auch vor meiner Zeit.
Ich habe dann den „betterads․ai“-Part kennengelernt. Ende 2023, als GPT in aller Munde war, fand ich das Thema spannend, weil ich dachte: „Da liegt viel Potenzial fürs Recruiting.“
Wir haben zunächst den Status quo gemessen: Conversion-Rate, Verweildauer auf Anzeigen etc. Anschließend haben wir mit den KI-Optimierungen auf drei Ebenen gearbeitet: Titel, Lesbarkeit und Inklusivität. Über A/B-Tests haben wir dann geprüft, wie Genderneutrale Sprache oder angepasste Titel die Ansprache verbessern können. Besonders bei schwer zu besetzenden SAP-Positionen konnten wir Verbesserungen erzielen.
Julian: Wie genau nutzt ihr betterads․ai bei der Erstellung von Stellenanzeigen?
Michael: Unsere Anzeigen werden automatisch per XML-Feed zu Jobstairs publiziert. Im Tool sehen wir ein Scoring für Titel (Reichweite), Lesbarkeit und Inklusivität. Basierend auf diesen Analysen können wir die Texte anpassen. Beispielsweise wird darauf geachtet, einfache Sprache zu verwenden oder genderneutrale Formulierungen einzusetzen. Nach einer initialen Optimierung sind wir inzwischen im Feintuning und führen spezifische A/B-Tests durch, um messbare Verbesserungen zu erzielen.
Julian: Führt das zu besseren oder nur zu mehr Bewerbern?
Michael: Wir würden gerne wissen, ob es zu besseren Bewerbern führt, aber die „Quality of Hire“ zu messen, ist schwierig. Was wir sehen, sind mehr Bewerbungen, z. B. bei SAP-Positionen: Die Bewerberzahlen stiegen in einem A/B-Test von durchschnittlich 4–5 auf 7–8 pro Ausschreibung.
Auch die Verweildauer auf Anzeigen hat sich erhöht – von typischen 5–6 Sekunden auf 60–90 Sekunden. Das zeigt, dass sich die Kandidaten intensiver mit den Ausschreibungen beschäftigen.
Julian: Von vier auf sieben Bewerber in spitzen Profilen kann eine Menge sein. Und wenn die Verweildauer steigt, ist das ja auch ein gutes Zeichen. Was sagst du nun Leuten, die meinen, dass solche Optimierungen zu weit gehen?
Michael: Ich würde sagen: Probiert es aus! Oft diskutieren Hiring Manager und Recruiter endlos über Titel und Texte, ohne zu wissen, was die Zielgruppe wirklich anspricht. Mit betterads․ai können wir Daten nutzen, statt nur Mutmaßungen anzustellen. Wenn sich am Ende herausstellt, dass die bisherigen Texte besser funktionieren, ist das auch ein wertvolles Learning.
Julian: Sprechen wir mal über die Recruiter. Die stehen ja oft in einem Spannungsfeld: Einerseits sollen sie proaktiver werden, neue Tools verwenden – andererseits sind sie Einzelkämpfer und müssen selbständig arbeiten. Wie haben eure Recruiter auf das Tool reagiert?
Michael: Veränderungen sind immer eine Herausforderung. Manche Kolleginnen brauchen etwas länger, aber das Tool überzeugt durch messbare Erfolge, z. B. mehr Bewerbungen bei Engpasspositionen. Wichtig ist, dass man solche Innovationen gemeinsam angeht und die Kolleginnen mitnimmt.
Julian: Wir alle kennen aus dem Hausgebrauch, was AI manchmal für Stilblüten produziert oder für Fehler macht. Wie verlässlich ist denn die Technologie?
Michael: Stilblüten, wie man sie von ChatGPT kennt, sind mir bisher nicht aufgefallen. Dennoch bleibt der Faktor Mensch entscheidend: Recruiter müssen die Ergebnisse prüfen und kontextuell bewerten. Die KI liefert gute Unterstützung, ersetzt aber nicht die menschliche Kontrolle.
Julian: Was kostet das Tool und wie hoch ist der Aufwand?
Michael: Die Kosten sind für uns Teil eines bestehenden Jahresbeitrags im Partnernetzwerk und somit nicht gestiegen. Der zeitliche Aufwand liegt bei etwa 10–15 Minuten pro Anzeige, um das Scoring zu verbessern. Das ist im Vergleich zu aufwändiger manueller Optimierung sehr effizient.
Julian: Was hat dich an dem Projekt besonders überrascht?
Michael: Die hervorragende Betreuung durch milch & zucker und deren tiefes Verständnis für Daten. Die Ergebnisse sind nicht nur fancy, sondern messbar und fundiert.
Julian: Wo siehst du die Zukunft von KI im Recruiting?
Michael: Besonders im Matching. Kandidaten könnten ihren Lebenslauf in eine Unternehmens-KI hochladen, die ihnen passende Stellen vorschlägt. Das würde den Prozess für beide Seiten deutlich vereinfachen.
Julian: Vielen Dank, Michael! Ich bin sicher, das ist nicht das letzte Mal, dass wir zu diesem Thema sprechen.
Michael: Danke dir! Liebe Grüße an das Team von milch & zucker, besonders an Olena – ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen.