Schüler verschieben Ausbildung: Zeitbombe fürs Azubi-Recruiting?
- Julian Ziesing
- Jul 21
- 3 min read
"Vielen gelingt der Übergang nicht", schließt die Bertelsmann Stiftung aus ihrer neuen Schüler-Befragung. Ein Fünftel will lieber erstmal arbeiten, ohne formelle Ausbildung. Mit unangenehmen Folgen.
Die Bertelsmann Stiftung hat mal wieder Schülerinnen und Schüler befragt. Sie analysierten 1,755 Antworten von 14- bis 25-Jährigen aus allen Schulformen.
Im frisch erschienenen Report "Ausbildungsperspektiven 2025" kann man nun nachlesen, was die jungen Menschen zum Thema Ausbildung, Studium und Chancen am Arbeitsmarkt denken.

Einiges dürfte uns vertraut vorkommen:
43% wollen eine Ausbildung beginnen.
40% wollen studieren.
Diese Zahlen haben sich seit 2024 kaum verändert.
Neu, und schon spannender, ist diese Erkenntnis:
- 86% halten eine Ausbildung für eine gute Basis für eine berufliche Karriere.
- Aber 51% glauben auch, es gebe zu wenig Wertschätzung dafür.
Es sind demnach gar nicht die Schüler selbst, die eine Ausbildung gegenüber dem Studium geringschätzen. Vielmehr nehmen sie wahr, dass die Gesellschaft das so sieht. (Als Optimist lässt mich das zumindest hoffen, dass sie diese Vorurteile nicht übernehmen.)
Problem aufschieben - erstmal arbeiten
So richtig überrascht hat mich aber dieses neue Ergebnis:
19% möchten erstmal arbeiten, statt Ausbildung oder Studium zu beginnen.
Unter Schülern mit niedrigem Bildungsniveau sind es sogar 25%.
Zusätzlich 39% können sich das zumindest vorstellen.
Moment, ist das nicht eine respektable Idee? Man sammelt Erfahrungen, gewinnt Orientierung, verdient erstes Geld. Eine Ausbildung rennt schließlich nicht weg.
Wir alle kennen zum Beispiel das klassische "Backpacking-Jahr in Australien", von dem man nicht nur mit Englischkenntnissen zurückkehrt, sondern auch mit dem Selbstbewusstsein, sich ganz allein, fern von daheim, mit Kellner-Jobs einen Traum verwirklichen zu können.
Sollte man meinen. Doch das Forschungsteam der Bertelsmann Stiftung hat auch nach den Motiven gefragt, weshalb jeder vierte bis fünfte Schüler seine Berufsfindung aufschiebt. Und die klingen weniger nach Selbstverwirklichung.
Fast jeder Fünfte hat keinen Abschluss
Gegen eine Ausbildung spricht für sie Folgendes:
48% finden die Ausbildungsvergütung zu gering.
43% fühlen sich nicht ausreichend vorbereitet.
51% haben zwar genug Informationen, finden sich damit aber nicht zurecht.
Wie auch immer man zu den Gründen steht - ob man etwa die Kritik an der Azubi-Vergütung für nachvollziehbar, überzogen oder sogar irrational hält: Das sind schon Warnsignale für die Wirtschaft, die man nicht ignorieren kann.
Dazu kommt: Wenn besonders Menschen mit niedrigem Schulabschluss nicht in den Arbeitsmarkt finden (wie gesagt, dort liegt die Zahl der Aufschieber noch höher), drohen ihnen ein Leben lang Nachteile.
Ich selbst, das möchte ich an dieser Stelle nicht verschweigen, gehöre zu denen, die ihr Studium dereinst an den Nagel gehängt haben und in die Wirtschaft quer-eingestiegen sind. Ohne Ausbildung, ohne Berufsabschluss.

Doch ich hatte auch Glück auf meinem Weg, und es hat lang gedauert, diesen Nachteil durch Erfahrung auszugleichen. Und Menschen mit ungelernter Arbeit (Kellnern in der Kneipe, schuften auf dem Bau...) dürfte es noch schwerer fallen, mal auf die Beine zu kommen.
Was mich deshalb schon erschreckt: 19% der 20- bis 34-Jährigen haben gar keinen Berufsabschluss. Das ist wirklich ein krasses Missverhältnis zum Fachkräftemangel, der in vielen Ausbildungsberufen herrscht. Und die derzeitige Rezession schiebt den demografischen Wandel auch nur temporär auf. Hier tickt also womöglich eine Zeitbombe für den Arbeitsmarkt.
(Den "gerupften Abi-Jahrgang" haben wir da noch gar nicht erwähnt: Allein in NRW fehlen nächstes Jahr aufgrund der Umstellung auf G9 rund 40.000 Abiturienten.)
Was Schüler von Arbeitgebern erwarten
Die Befragung wirft ein neues Schlaglicht auf bekannte Herausforderungen:
1. Ausbildungen attraktiver zu machen
2. Orientierung im Dschungel der Informationen zu geben
Nach dem Motto: Infos, Flyer und Webseiten reichen nicht, Beratung muss her. Schule und Eltern allein schaffen das nicht.
Als wichtigste Quellen für Orientierung nennen übrigens:
70% Praktika
51% persönliche Beratung
49% Betriebsbesichtigungen
Dies sind ja durchaus Einladungen an die Arbeitgeber: Zeigt mir, wie es bei euch wirklich aussieht! Lasst es mich erleben. Nehmt mich mit auf eine Probefahrt. Gebt mir persönliche Empfehlungen.
Der sogenannte Realistic Job Preview scheint die Vorzüge der Schüler zu treffen. Ein Best-Practice-Beispiel: Über die Open Application der Deutschen Telekom in Zusammenarbeit mit Cyquest hatte ich ja berichtet.
Wenn wir wollen, dass weniger Menschen in einer beruflichen Sackgasse landen, sollten wir diesen Weg wohl forcieren.
Quelle: Ausbildungsperspektiven 2025, Bertelsmann Stiftung


